Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist Filmmusik der 1930er- bis 1960er-Jahre. Was ist das für Sie das Spannendste an diesem Thema?
Die 1930er- und 1960er-Jahre sind für mich eine besonders spannende Zeit eines umfassenden medialen und ästhetischen Wandels: Letztlich werden in dieser Zeitspanne die Grundlagen für Filmmusik gelegt, wie wir sie heute kennen. Das internationale Durchsetzen der Technologie des Tonfilms um 1930 bot neue Möglichkeiten für Musik in audiovisuellen Kontexten – bis Ende der 1960er-Jahre verbesserten sich die Wiedergabe- und Aufnahmetechnologien im Bereich der Filmmusik zudem kontinuierlich. Gleichzeitig ist diese Zeitspanne in einem globalen Kontext auch politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich ereignisreich.
Für mich besonders spannend ist daher, wie sich Filmmusik in den komplexen Kontext dieser Zeit einordnet. Dieser wird im Bereich der Musik auf der einen Seite von den angesprochenen technologischen Innovationen geprägt, auf der anderen Seite verorten sich Filmkomponisten in dieser Zeit noch stark in einer traditionellen kunstmusikalischen Historiographie – und das im Kontext des auf Unterhaltung und Profit ausgerichteten Hollywood-Films.
Sie leiten das FWF-Forschungsprojekt „GuDiE“, das sich an der Schnittstelle zwischen Musikwissenschaft und Digital Humanities bewegt. Dabei soll eine Digitale Edition von Gumpenhubers Theater Chroniken erstellt werden. Was kann man sich darunter vorstellen?
Der Ballettmeister Philipp Gumpenhuber erstellte Mitte des 18. Jahrhunderts im Auftrag von Maria Theresia einen Überblick über alle Aktivitäten der Wiener Hoftheater. Die Chroniken von Gumpenhuber erfassen daher im Zeitraum 1758–1763 sämtliche Details des Theaterlebens am Wiener Hof: Darunter zählen Informationen zu den aufgeführten Opern, Balletten und Theaterstücken, aber auch Informationen über die Proben und Details zu Pannen im Theaterbetrieb, wie krankheitsbedingte Stückänderungen.
Heute sind Gumpenhubers Chroniken allerdings durch den Atlantik getrennt: Ein Teil der erhaltenen Chroniken befindet sich in der Houghton Library der Harvard University und ein anderer Teil in der Österreichischen Nationalbibliothek. Die digitale Edition (Gumpenhuber Digital Edition; kurz: GuDiE) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Chronik im digitalen Raum wieder zusammenzuführen und um innovative Visualisierungsoptionen zu ergänzen. Es wird in Zukunft für eine interessierte Öffentlichkeit möglich sein, mittels einer Spielplanansicht sehen zu können, was, wann, mit welchen Mitwirkenden, an welchem Theater in Wien aufgeführt wurde. Auch wer sich schon mal die Frage gestellt hat, wie für eine Opernaufführung im 18. Jahrhundert geprobt wurde oder welche Adeligen von anderen Höfen zu welchen Anlässen am Wiener Hof zu Gast waren, wird bei GuDiE fündig.
Was würden Sie jungen Menschen raten, die überlegen Musikwissenschaft zu studieren und was macht Graz aus Ihrer Sicht zu einem besonderen Standort für Forschung im Bereich der Musik- und Kunstwissenschaften?
Probieren Sie es einfach aus und lassen Sie sich überraschen! „Musikwissenschaft“ ist ja ein sperriger Begriff unter dem man sich zunächst einmal schwer etwas vorstellen kann. Ich bin aber davon überzeugt, dass Musikinteressierte im Rahmen des Studiums Musikwissenschaft vermeintlich Bekanntes mit neuen Ohren hören werden. Als Tipp: Versuchen Sie mal beim nächsten Netflix-Serienabend bewusst auf die Musik zu hören! Musik ist aus dem Alltagsleben nicht wegzudenken. Entsprechend arbeiten Musikwissenschaftler:innen in vielfältigen Berufsfeldern: Das geisteswissenschaftliche Studium der Musikwissenschaft vermittelt die Kompetenzen sich neue musikbezogene Berufsfelder zu erschließen.
Eine Besonderheit für musik- und kunstwissenschaftliche Forschung am Standort Graz ist das Vorhandensein einer geisteswissenschaftliche Fakultät mit einer großen disziplinären Vielfalt. Musik als Kunstform versteht und verstand sich immer in Relation zu anderen Kunstformen, Medien, kulturellen Kontexten und Gesellschaften. Die breite disziplinäre Vielfalt am Standort Graz macht es möglich, musikalische Phänomene in Vergangenheit und Gegenwart umfassend und in Kooperation mit Partner:innen aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven zu reflektieren. Das bietet die Grundlage für die Entwicklung innovativer Forschungsperspektiven, die letztlich auch die immer wichtiger werdenden Potentiale digitaler Methoden umfassen. Zudem besitzt Graz eine vielfältige Kunst- und Kulturszene – die zudem zu jeder Tages- und Nachtzeit – aufgrund der Größe der Stadt – unkompliziert und CO2neutral mit dem Fahrrad erreichbar ist.
3 Fragen an... Mitarbeiter:innen und Studierende der Geisteswissenschaftlichen Fakultät