Entangled Histories
Unter dem Aspekt der Ästhetik geht es darum zu erforschen, wie und mit welchen Erscheinungsformen Verkörperung sich überhaupt ereignet. Der Aspekt der Aisthesis soll klären, wie etwas sinnlich erfahrbar und fühlbar wird und wie dieser Prozess wiederum wahrgenommen werden kann. Medium wird für dieses Forschungsprojekt in doppelter Perspektive verhandelt: zunächst verstehen wir die Sinne als ‚Durchgangsort‘, also als Medium – um zu zeigen, daß es genau die Sinneserfahrung ist „wodurch es die Gegenstände überhaupt erst gibt“ (Maurice Merleau-Ponty: 1994, S. 51). Dann jedoch führen wir diesen klassischen phänomenologischen Ansatz, wie er von Merleau-Ponty zuerst formuliert wurde, weiter, um die Bedeutung der Künste für das Verständnis von Verkörperungstheorien zu erläutern: Medium sind für uns nicht nur die Sinne selbst, die ein Verständnis von Welt ermöglichen, sondern sie sind wiederum an Medien der Verkörperung gebunden, wie etwa Objekte, Szenen und Szenarien der Kunst. Allgemeiner Gegenstand dieses Forschungsprojekts ist der Konstitutionsprozess des phänomenalen Raums und des Subjekts, um die Ästhetik und Aisthesis der Verkörperung zu klären. Der Begriff „phänomenaler Raum“ bezeichnet hier (in Abgrenzung zum objektiv messbaren Raum) somit eine bewusste, sinngeprägte Instanz, die im Prozess des Erfahrens entsteht und durch ihre Entstehung den topologischen Rahmen dieses Prozesses bildet.
Ästhetik, Aisthesis und Medium sollen für das Projekt als Leitkategorien zu verstehen helfen, was Denken, was Wahrnehmen überhaupt heißt. Das Projekt will die Frage klären, wie Erscheinung, Wahrnehmung und Transformation der Verkörperung zu beschreiben sind, wenn es gegeben ist, daß die Frage, was wie verkörpert wird erst durch den Akt/Prozeß des embodiment selbst entsteht. In den letzten Jahren haben die globale Kunstgeschichte sowie die postkoloniale und poststrukturalistische Theorie zu einer selbstreflexiven Diversifizierung der kunsthistorischen Bemühungen beigetragen. Diese Auswirkungen ermöglichten eine diskursive Verschiebung früherer Vorstellungen von Modernismen, Modernitäten und der ihnen innewohnenden epistemologischen Gewalt, die neue Konzepte und Neudefinitionen von Begriffen erforderten. Die Moderne wird häufig als eine spezifische Denkweise definiert, die durch die Ablehnung der Gewissheiten des aufklärerischen Denkens und des religiösen Glaubens gekennzeichnet ist. Die Modernität beschreibt eine moderne Lebensweise, die von der industriellen Welt, der Urbanisierung und den Medientechnologien bestimmt wird.
Moderne Kunst ist u.a. durch abstrakte Kunst, Montage, Collage, nicht-lineare Erzählungen, sowie den Einsatz von Medientechnologien gekennzeichnet. In der historischen Analyse der Modernen wird der Begriff der "Epochenschwellen" (Cornelia Klinger, 1995) hervorgehoben, die die Modernen bis in die Gegenwart prägen und die für die "Kaskaden der Modernisierung" (Hans-Ulrich Gumbrecht, 2002) grundlegend waren. Eine solche Orientierung bedingt in der Tat jeden kritischen Blick auf die ästhetische Kategorie des "Modernen" ebenso wie des "Zeitgenössischen" in der Kunst.
Methodisch ist sowohl eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Fachdisziplin von Bedeutung als auch die Thematisierung der diversen historischen, theoretischen und künstlerischen Erneuerungen des Faches. Damit einher geht eine veränderte Vorstellung von Theorie. Seit dem Ende des 18.Jahrhunderts gibt es historische Parallelen zu diesem Begriff des "Modernen"; er steht für erkenntnistheoretische Zugänge zu Objekten, die mit traditionellen Beobachtungsmethoden oder Analysekategorien nicht erfasst werden können und daher neue Sehweisen und Zugangsformen erfordern (man denke etwa an die von A. G. Baumgarten 1750 begründete Disziplin der philosophischen Ästhetik sowie an neue Formen der ästhetischen Theoriebildung).
Darüber hinaus untersucht Stuart Hall in seinem Aufsatz "The West and the Rest -Discourse and Power"; die Rolle, die Gesellschaften außerhalb Europas in diesem Prozess spielen. Er untersucht, wie sich eine Vorstellung von "the West and the Rest"; konstituiert und wie die Beziehungen zwischen westlichen und nicht-westlichen Gesellschaften dargestellt wurden. Hall schreibt, dass "the West" nicht mehr nur in Europa liegt, und dass nicht ganz Europa zum Westen gehört. Der Historiker John Roberts argumentiert, dass “Europeans have long been unsure about where Europe ‘ends’ in the East. In the West and to the South, the sea provides a splendid marker ... but to the East, the plains roll on and on and the horizon is awfully remote” (Roberts, 1985, S. 149). Osteuropa gehört nicht (noch nicht? hat nie?) richtig zum Westen, während die Vereinigten Staaten, die nicht in Europa liegen, definitiv dazu gehören. Heutzutage ist Japan, technologisch gesehen, westlich, obwohl es auf unserer mentalen Landkarte 'östlich' liegt. Im Vergleich dazu gehört ein Großteil Lateinamerikas, das in der westlichen Hemisphäre liegt, wirtschaftlich zur "Dritten Welt", die - nicht sehr erfolgreich - darum kämpft, mit dem "Westen" gleichzuziehen. Hall stellt fest, dass "the West" eher eine Idee als eine geografische Tatsache ist, daher ist "der Westen" ein historisches und kein geografisches Konstrukt. Er kommt zu dem Schluss, dass die Bedeutung des Begriffs praktisch identisch mit "modern" ist.
Darüber hinaus nimmt der Kurator Okwui Enwezor eine kritische Haltung gegenüber der Idee der Nähe zum "Westen" als paradigmatische Interpretation der nicht-westlichen Moderne ein, da diese Idee zur Entpolitisierung und Dekontextualisierung der Kunstproduktion beiträgt. Stattdessen schlägt Enwezor eine "postcolonial response" auf die entstehenden Felder globaler Modernismen vor, den "in its discursive proximity to Western modes of thought, postcolonial theory transforms this dissent into an enabling agent of historical transformation and thus is able to expose certain Western epistemological limits and contradictions." (Okwui Enwezor, Manifesta Journal, 2002, S. 113)
Diese Beobachtung führt zu umfassenderen Fragen: Wie können wir die Begriffe der Modernen und der Modernitäten neu definieren? Wie kann man die Geschichte der Modernen schreiben und sich dabei der " darker Side of Modernity " (Walter Mignolo, 2011) wie Kolonialismus, Imperialismus und Universalität bewusst sein? Die grundlegende Vorstellung von der westlichen Moderne als universeller Norm beruht auf der problematischen und paradigmatischen Annahme, dass "the Modern is just a synonym for the West", der die Moderne oft als geistiges Eigentum des aufgeklärten Europas versteht. Das bedeutet für nicht-westliche Länder, "to become modern, it is still said, or today to become postmodern, is to act like the West ", wie Timothy Mitchell erklärt. (Mitchell, 2001, S. 1.) Angesichts der Globalisierung müssen wir die Konzepte der Modernen neu überdenken; die "klassische" und jede statische Konzeptualisierung der Moderne ist für eine tiefer gehende Untersuchung der modernen Kunstgeschichte unzureichend. Daher ist es notwendig, über theoretische Konzepte der Modernen nachzudenken, die uns helfen können, die Komplexität und Vielfalt der modernen und zeitgenössischen Kunst zu berücksichtigen und ihren künstlerischen Ausdruck von konstanten Vergleichen und Imitations- und Rückständigkeitstropen zu befreien.